Weihnachtswünsche

Antoine de Saint-Exupery

Der kleine Prinz  (Le petit Prince)

„Man kennt nur die Dinge, die man zähmt“
sagte der Fuchs.
„Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgend etwas kennenzulernen.
Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine
Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr.
Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!“

„Was muß ich da tun?“ sagte der kleine Prinz.
„Du mußt sehr geduldig sein“, antwortete der Fuchs.
„Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras.
Ich werde dich so verstohlen, so aus dem Augenwinkel anschauen,
und du wirst nichts sagen.
Die Sprache ist die Quelle der Mißverständnisse
Aber jeden Tag wirst du dich ein bißchen näher setzen können…“

 

 

Am nächsten Morgen kam der kleine Prinz zurück.
„Es wäre besser gewesen, du wärst zur selben Stunde wiedergekommen“
sagte der Fuchs.
„Wenn du zum Beispiel um vier Uhr nachmittags kommst,
kann ich um drei Uhr anfangen, glücklich zu sein.
Je mehr die Zeit vergeht, um so glücklicher werde ich mich fühlen.
Um vier Uhr werde ich mich schon aufregen und beunruhigen;
ich werde erfahre, wie teuer das Glück ist.
Wenn du aber irgendwann kommst, kann ich nie wissen,
wann mein Herz da sein soll…
Es muß feste Bräuche geben.“
„Was heißt „fester Brauch“?“, sagte der kleine Prinz.
“ Auch etwas in Vergessenheit Geratenes“, sagte der Fuchs.
„Es ist das, was einen Tag vom andern unterscheidet,
eine Stunde von den andern Stunden.
Es gibt zum Beispiel einen Brauch bei meinen Jägern.
Sie tanzen am Donnerstag mit dem Mädchen des Dorfes.
Daher ist der Donnerstag der wunderbare Tag.
Ich gehe bis zum Weinberg spazieren.
Wenn die Jäger irgendwann einmal zum Tanze gingen,
wären die Tage alle gleich und ich hätte niemals Ferien.“

So machte denn der kleine Prinz den Fuchs mit sich vertraut.
Und als die Stunde des Abschieds nahe war:
„Ach!“ sagte der Fuchs, „ich werde weinen.“
„Das ist deine Schuld“, sagte der kleine Prinz,
„ich wünschte dir nichts Übles,
aber du hast gewollt, daß ich dich zähme…“
„Gewiß“, sagte der Fuchs.
„Aber nun wirst du weinen!“ sagte der kleine Prinz.
„Bestimmt“, sagte der Fuchs.
„So hast du nichts gewonnen!“
„Ich habe“, sagte der Fuchs, „die Farbe des Weizens gewonnen.“
Dann fügte er hinzu: „Geh die Rosen wieder anschauen.
Du wirst begreifen, daß die deine einzig ist in der Welt.
Du wirst wiederkommen und mir adieu sagen,
und ich werde dir ein Geheimnis schenken“.

Der kleine Prinz ging, die Rosen wiederzusehn:
„Ihr gleicht meiner Rose gar nicht, ihr seid noch nichts“,
sagte er zu ihnen.
„Niemand hat sich euch vertraut gemacht
und auch ihr habt euch niemandem vertraut gemacht.
Ihr seid, wie mein Fuchs war.
Der war nichts als ein Fuchs wie hunderttausend andere.
Aber ich habe ihn zu meinem Freund gemacht,
und jetzt ist er einzig in der Welt.“
Und die Rosen waren sehr beschämt.
„Ihr seid schön, aber ihr sein leer“ sagte er noch.
„Man kann für euch nicht sterben.
Gewiß, ein Irgendwer, der vorübergeht, könnte glauben,
meine Rose ähnle euch.
Aber in sich selbst ist sie wichtiger als ihr alle,
da sie es ist, die ich begossen habe.
Da sie es ist, die ich unter den Glassturz gestellt habe.
Da sie es ist, die ich mit dem Wandschirm geschützt habe.
Da sie es ist, deren Raupen ich getötet habe
(außer den zwei oder drei um der Schmetterlinge willen).
Da sie es ist, die ich klagen oder sich rühmen gehört habe
oder auch manchmal schweigen.
Da es meine Rose ist.“

Und er kam zum Fuchs zurück:
„Adieu“, sagte er…
„Adieu“, sagte der Fuchs.

„Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach:

Man sieht nur mit dem Herzen gut.
das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

„Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“,
wiederholte der kleine Prinz,
um es sich zu merken.

Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig.“

„Die Zeit, die ich für eine Rose verloren habe…“,
sagte der kleine Prinz,
um es sich zu merken.
Und er warf sich ins Gras und weinte.

„Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen“, sagte der Fuchs.
„Aber du darfst sie nicht vergessen.

Du bist zeitlebens für das verantwortlich,
was du dir vertraut gemacht hast.
Du bist für deine Rose verantwortlich…“

„Ich bin für meine Rose verantwortlich…“,
wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken.

(aus dem 11. Kapitel)